Jüdische friedhöfe

Jüdische Friedhöfe

Jüdische Friedhöfe

Der Judenfriedhof im Wenigerbachtal

Vor „unerdenklichen Zeiten“ sei der Bendorfer Judenfriedhof entstanden, schreibt 1711 ein Bendorfer Pfarrer. 1199 werden zum ersten Mal Juden in Sayn erwähnt. Ascher ha Kohen und sein Schwiegersohn Alexander von Andernach lebten unter dem Schutz Graf Heinrichs II., des Stifters der Abtei, auf Burg Sayn. Alexander betrieb einen Weinhandel und besorgte wohl die Finanzgeschäfte des Grafen.[1]

Abb. 1.: Judenfriedhof Bendorf, Zustand 2017

Erst 1339 haben wir Nachricht von einem Juden aus Bendorf. Dieser wird erwähnt, weil die Abtei Maria Laach, Grundherrin in Bendorf, ihm eine Schuld zu begleichen hatte.[2] Wenige Jahre danach, 1349, suchte die Pest fast ganz Europa heim. Die Beschuldigung, die Juden hätten die Brunnen vergiftet und seien so an der Pest schuld, löste die größte Judenverfolgung des Mittelalters aus. Wir wissen nicht, ob es danach noch Juden in Bendorf gab. Aber eine Kartenskizze von Bendorf (um 1660) nennt als Besitzer eines Hauses (der Nr. 57 von insgesamt 121 Häusern) einen gewissen „Süser Jude“.[3] Falls es außer ihm noch weitere Juden gegeben hat, besaßen sie keine Häuser und werden deshalb nicht genannt. Aus den genannten Daten von 1339 und 1660 können wir keine Rückschlüsse darauf ziehen, wie viele Juden insgesamt in Bendorf lebten.

Am 27. August 1711 berichtet Johannes Reusch, lutherischer Pfarrer zu Bendorf, an das Konsistorium, die übergeordnete kirchliche Behörde, „dass die hiesigen Juden eine starke Synagoge halten, indem acht starke Familien allhier wohnhaft sind.“[4] Der Landesherr, Johann Wilhelm Herzog von Sachsen-Eisenach, hat diesen Familien feierliche Gottesdienste zu Beschneidungsfesten, zu Hochzeiten und Begräbnissen gestattet. Reusch beschwert sich in seinem Brief darüber, dass der Herzog diese Freiheiten gewährt hat und dass „auch fremde Juden, als die zu Sayn, Engers und Grenzhausen wohnhaft sind, hier ihr Begräbnis von unerdenklichen Jahren her haben und dafür, wenn ein alter Jude stirbt, gnädigster Herrschaft einen Goldgulden und [wenn] ein junger {Jude stirbt] halb so viel zahlen“. Wir dürfen davon ausgehen, dass der Friedhof immer an der heutigen Stelle im Wenigerbachtal, Gemarkung Bendorf, Flur 17, Eichheller Hof, lag. Die Aussage „von unerdenklichen Jahren“ bedeutet, dass der Friedhof 1711 schon so lange bestand, dass sich niemand mehr an den Zeitpunkt der Gründung erinnern konnte. Der älteste erhalten gebliebene Grabstein wird aber auf das Jahr 1746 datiert.[5]

Der Bendorfer Judenfriedhof liegt wie viele andere weit außerhalb des Ortes. Es gibt mehrere Gründe dafür: Der wichtigste ist wohl die Tatsache, dass auch kleinere Judengemeinden relativ große Friedhöfe benötigten. Die Gräber sollten und sollen nämlich auf immer bestehen, also nie beseitigt werden. Genügend großes Gelände, um die Belegungsfläche nach Bedarf erweitern zu können, war innerhalb der Orte kaum zu erhalten.

Die Zahl der jüdischen Einwohner von Bendorf betrug 1787 etwa 80. 1770 wurde eine Synagoge gebaut; diese brannte 1825 ab und wurde 1828 durch eine neue an der gleichen Stelle ersetzt. 1817 gab es nur noch 46 Juden, im Jahre 1834 mit 109 aber wieder eine wesentlich größere Zahl. Der Höchststand wurde 1858 mit 144 Juden in Bendorf erreicht. 1871 waren es noch 131 jüdische Einwohner.

1873 stellte Moses Feist, der Vorsitzende der Israelitischen Gemeinde Bendorf, an den Bürgermeister den Antrag, den Friedhof erweitern zu dürfen. Feist hatte dafür von dem Landwirt Daniel Fleck 11 Ar angrenzendes Land zum Preis von 115 Talern gekauft. Er beantragte, die Gemeindeverwaltung möge „zwecks Gleichstellung mit den katholischen und evangelischen Kirche“ einen Teil der Kaufsumme übernehmen. Dies geschah 1874, indem die Gemeinde 50 Taler beisteuerte. Durch die Vergrößerung auf 7032 m² bekam Bendorf einen der größten Judenfriedhöfe im Gebiete des heutigen Landes Rheinland-Pfalz. Er ist nicht viel kleiner als der von Koblenz, der eine Fläche von 8590 m² hat.

   Abb. 2.: Aufgang zum Judenfriedhof in Bendorf

Seine noch heute deutlich zu erkennende Gestalt erhielt der Bendorfer Judenfriedhof 1913. Salomon Feist, Textilkaufmann aus der Hauptstraße (heute Haus.-Nr. 94), spendete anlässlich seines 70. Geburtstags der Israelitischen Gemeinde Bendorf die finanziellen Mittel für die Umgestaltung des Friedhofs.  „Das ist meine Ruhestätte ewiglich; hier will ich bleiben, denn so wünschte ich es“, diese Worte des 132. Psalms sprechen vom Berg Sion. Salomon Feist bezog sie auf den Friedhof, auf dem er bestattet werden wollte. Der jüdische Friedhof wird auch „Haus der Ewigkeit“ oder der „Gute Ort“ genannt. In Bendorf betritt der Besucher den Friedhof durch ein schmiedeeisernes Tor und kommt zu quadratischen Stufenflächen, die mit kleinen Basaltsteinen gepflastert sind. Neun der Stufen tragen Darstellungen jüdischer Motive, die mit weißen Steinen in die dunklen Basaltflächen eingelegt sind. Zu beiden Seiten standen bis 2020 Lebensbäume. Diese starben nach der großen Trockenheit mehrerer Sommer ab und wurden entfernt. Im gleichen Jahr riss ein Sturm mehrere große Bäume um. Einer davon fiel auf das Grab des o.g. Moses Feist und seiner Familie. Wie durch ein Wunder blieb die Grabstätte fast unbehelligt.

Die gesamte Friedhofsanlage, die mit dem Berg ansteigt, erinnert an Arnold Böcklins Gemälde „Die Toteninsel“. Es ist anzunehmen, dass im Hause Feist, wie in sehr vielen gutbürgerlichen Häusern, Böcklins Bild die gute Stube schmückte.[6]

Abb. 3: Diese Stufe am Aufgang zum Friedhof weist auf den Stifter hin

Eine Stufe des Aufgangs trägt in einem Ehrenkranz die Zahl 70, den Namen des Stifters und die Jahreszahl 1913. Leopold Feist starb 1915, also nur zwei Jahre nach der Schenkung, und erhielt seine Ruhestätte im Familiengrab am oberen Ende des Aufgangs. Der Name seines Vaters Moses Feist ist, in Basalt gehauen, noch lesbar [7] In der Grabrede für Salomon Feist würdigte Prediger Benno Huhn von der Jüdischen Gemeinde Koblenz am 14. April 1915 „das verdienstvolle Werk der würdevollen Friedhofsanlage“. Er nannte Salomon Feist einen glühenden Patrioten, der vom Oberpräsident der Rheinprovinz offiziell dafür geehrt wurde, dass er regelmäßig die verwundeten Soldaten in den Lazaretten besuchte und ihnen Mut zusprach.[8]

Der Bendorfer Judenfriedhof hat 116 erkennbare Grabstellen, davon stammt ein großer Teil aus dem 19. Jahrhundert. Die 1892 begonnene Belegungsliste des Friedhofs weist bis 1941 insgesamt 67 Begräbnisse aus. Die letzte Eintragung betrifft die am 9. Januar 1941 verstorbene Therese Feist. Ihr blieb das Schicksal ihrer Geschwister Moritz und Rosa Feist erspart, die am 27. Juli 1942 nach Theresienstadt und von dort in das Vernichtungslager Treblinka deportiert wurden.

Die Grabsteine sind die einzigen Zeugnisse der untergegangen Judengemeinde Bendorf, deren Mitglieder im 19. und im frühen 20. Jahrhundert das kulturelle, politische und wirtschaftliche Leben in Bendorf mitgestalteten. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts trugen die Steine nur hebräische Inschriften, von der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts an auf der nach Osten gewandten Seite hebräische, auf der anderen Seite auch deutsche Inschriften. Als Beispiel sei der Stein für Marx Cahn genannt. Auf der nach Westen gerichteten Seite erfahren wir aus deutschem Text, dass Marx Cahn, geboren 1790, gestorben 1883, „der letzte Veteran von Bendorf“ war. Die Tatsache, dass er an den Kriegen gegen Napoleon teilgenommen hat, war so wichtig, dass sie 70 Jahre später noch auf dem Grabstein erwähnt wurde. Die Inschrift zeigt, wie sehr das Soldat-Sein ein Weg zur Integration jüdischer Männer in die Gesellschaft war. Auf der hebräischen Seite des Steins (Abb. 6) wird statt des von Markus abgeleiteten Vornamens Marx der jüdische Vorname Mordechai genannt.

 Abb. 4: Grabstein für Lipman ben Hirz aus Grenzhausen

 


פ"ט

האיש ישר וכשר

כ' ליפמן בן כמ"ר

הירץ מגרענצהויז

נפטר ביום ג' י"ג ניסן

תקצ"ד לפ"ק ובע"פ

בו נקבר תנצב"ה

Hier ist geborgen/ ein aufrechter und tugendhafter Mann,/ der geehrte Lipman, Sohn des geehrten Meisters, Herrn/ Hirz aus Grenzhausen,/ verschieden am Tag 3, 13. Nissan/ 594 der kleinen Zählung, und am Vorabend von Pessach/ in jenem (Monat) begraben. Seine Seele sei eingebunden in das Bündel des Lebens/ Gestorben Dienstag, 22.04.1834; begraben am/ folgenden Tag[9]

 

Abb. 5: Die segnenden Hände als Symbol für einen Kohen, einen Priester, auf einer Stufe des Aufgangs zum Friedhof

 

                

 

                






Abb. 6: Die segnenden Hände, hier auf dem Grabstein für Marx Cahn (Von Cohen sind   die Namen Cahn, Kahn, Kohn, Kuhn u.a. abgeleitet).







 

               








Abb. 7: Wasserkännchen als Symbol für einen Leviten und seine Aufgabe, beim Tempeldienst dem Priester bei der rituellen Handwaschung zu assistieren. Hier auf einer Stufe des Aufgangs zum Friedhof.




                







Abb. 8: Das Wasserkännchen auf dem Grabstein eines Trägers des Namens Levi, (der auch in den Formen Levy, Loef, Loew u.a. vorkommt).


 

               

 

                



Abb. 9; Albert Abraham, Mitglied des Stadtrates von Bendorf, Inhaber einer Getreidegroßhandlung in      der Hauptstraße, tätig in zahlreichen Vereinen, „Schützenmeister“ einer Bendorfer        Schützengesellschaft. Sein Sohn Simon starb 1916 als Kriegsfreiwilliger,

                

 
















Ein anderer Grabstein (Abb. 10.) gilt dem 1933 verstorbenen Manfred Cahn (geb. 1909). Sein Vater Ernst war 1916 als deutscher Soldat gefallen. Seine Frau Betty versuchte danach, den Betrieb weiterzuführen. Nichtjüdische Bendorfer Berufskollegen ihres Mannes halfen ihr dabei. Als ihr Sohn Manfred die Metzgerlehre absolviert hatte, wurde er die Hauptstütze seiner Mutter. Im März 1933 erkrankte er an Lungenentzündung. Sein Zustand verschlechterte sich schnell, und er starb am 2. April 1933. Trotz der Boykotthetze gegen Juden, die zu Anfang April 1933 besonders stark war, nahmen Hunderte von Bendorfern an der Beerdigung teil. Am 1. April standen sogar Posten der SA vor dem Haus des todkranken Manfred Cahn. Als der Bendorfer Arzt Dr. Hugo Renzel von ihnen zurückgehalten werden sollte, ging dieser unerschrocken an den Posten vorbei zu dem Kranken. Frau Cahn musste nach dem Tode ihres Sohnes die Metzgerei für immer schließen. Ihre Tochter Mally wanderte kurz vor Kriegsbeginn nach Brasilien aus. Die Mutter wollte in Bendorf bleiben, weil sie wie viele andere glaubte, das Unrechtssystem der Nazis werde bald vorübergehen. Frau Cahn wurde ein Opfer der Deportation vom 22. März 1942, des ersten von fünf Transporten, durch die von Bendorf aus 573 jüdischen Frauen, Männer und Kinder in die nationalsozialistischen Vernichtungslager im besetzten Polen gebracht wurden. Nach dem Krieg kam die Tochter zu einem kurzen Besuch nach Bendorf und ließ den Grabstein zum Gedenken ihres verstorbenen Bruders und ihrer in einem KZ ermordeten Mutter setzen. Es handelt sich um den einzigen nach dem 2. Weltkrieg aufgestellten Grabstein des Bendorfer Judenfriedhofs.

 Abb. 10: Grabstein für Manfred Cahn (1908-1933) mit Hinweis auf seine 1942 deportierte Mutter

Die Bendorfer Synagoge wurde bei dem Pogrom vom 9. November 1938 verwüstet. Nationalsozialistische Organisationen machten das Gebäude zu ihrer Tagungsstätte. Seit den Deportationen des Jahres 1942 gibt es in Bendorf keine jüdische Gemeinde mehr. An die ehemalige Synagoge erinnern in dem Sträßchen, das 1988 seinen alten Namen „Judengasse“ zurückerhielt, zwei Gedenktafeln. Im Namen der Stadt Bendorf wurde eine Tafel mit folgendem Text angebracht: „Hier stand die Synagoge der Israelitischen Gemeinde Bendorf. Sie wurde am 10. November 1938 unter der Herrschaft des Gewalt und des Unrechts zerstört.“ Die zweite Tafel ließen die Kirchengemeinden von Bendorf anbringen. Hierauf findet sich der siebenarmige Leuchter, eines der Symbole des Judentums, mit folgender Inschrift: „Haben wir nicht alle einen Vater? (Maleachi 2, 10).“

Die Stadtverwaltung Bendorf kaufte den Friedhof und die Synagoge zu einem Spottpreis. Das Finanzamt Koblenz, das den Kauf abwickelte, gewährte sogar einen Preisnachlass „wegen Wegräumens der Grabsteine“. Dazu ist es glücklicherweise nicht mehr gekommen. Der Kaufvertrag wurde am 22. August 1948 offiziell für ungültig erklärt, und der Friedhof und die Synagoge wurden der Rechtsnachfolgerin der untergegangenen Jüdischen Gemeinde Bendorf, und zwar der Jüdischen Kultusgemeinde Koblenz, zurückgegeben.[10] Diese ist für die Pflege des Bendorfer und des Sayner Judenfriedhofs sowie für weitere fast 100 Friedhöfe im Bereich der ehemaligen Bezirksregierung Koblenz zuständig.


[1] Dietrich Schabow: Zur Geschichte der Juden in Bendorf, November 1979, S. 6.

[2] Zvi Avneri (Hrsg.): Germania Judaica, Band 2 , Tübingen 1968.

[3] Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Abt. 340, Nr. 1692 b. Freundlicher Hinweis von Willi Syré 1992.

[4] Landeshauptarchiv Koblenz, Bestand 30, Nr. 2389.

[5] Prof. Dr. Zvi Weinberg, Bar-Ilan-Universität Tel Aviv, 1987 in Bendorf. Evtl. könnte es auch „1764“ bedeuten; die Schrift ist nicht mehr vollständig erhalten.

[6] Freundlicher Hinweis von Dorothea E. Deeters, Oberbieber.

[7] Die Namen sind während des Krieges oder kurz danach Metallräubern zum Opfer gefallen.

[8] „Trauerrede am Grabe des Herrn Salomon Feist in Bendorf von Prediger Huhn, Coblenz, 14. April 1915“ Landeshauptarchiv Koblenz, Best. 655,64, Nr. 1286. Freundlicher Hinweis von Hildburg-Helene Thill.

[9]  Transkription des hebräischen Textes und deutsche Übersetzung von Nathanja Hüttenmeister M.A., Salomon-Ludwig-Steinheim-Institut für jüdisch-deutsche Geschichte an der Universität Duisburg-Essen.

[10] Vergl. Protokollbuch des Stadtrats von Bendorf, Sitzung vom 03.07.1950, S. 473. Mitteilung des Bürgermeisters Georg Bauer.