Jacoby'sche Anstalt
DIE EHEMALIGE JACOBY'SCHE ANSTALT IN BENDORF-SAYn
Israelitische Heil- und Pflegeanstalt für Nerven- und Gemütskranke (1869 - 1942)
In den Bendorfer Nervenheilanstalten Dr. Erlenmeyer (gegr. 1848) und Dr. Brosius (gegr. 1857) muss es nicht selten jüdische Patienten gegeben haben. Der in Sayn lebende Kaufmann Meier Jacoby begründet nämlich 1869 seinen Antrag auf die Konzession für eine jüdische Anstalt mit folgenden Worten: "Ich hatte oft gehört, dass die in streng jüdischen Häusern aufgewachsenen Nervenkranken nur mit Widerwillen nicht koschere Kost genießen, dass sie solche Nahrung wohl ganz verweigern oder sich durch den Genuss der Speisen zu versündigen glauben, dass sie namentlich von weniger gebildeten Patienten und Wärtern wegen ihres Glaubens gehänselt werden usw. - Umstände, die Nerven- und Gemütskranke gewiss ungünstig beeinflussen müssen." Anmerkung [1]
Meier Jacoby nahm zuerst einige wenige Patienten in sein Wohnhaus auf und beauftragte einen Bendorfer niedergelassenen Arzt mit ihrer Betreuung. Die Einrichtung nahm einen raschen Aufstieg, nachdem Jacoby eine großes Gelände an der Koblenz-Olper-Straße erworben hatte. Sie hatte 1890 schon 109 Patienten; etwa ein Drittel von ihnen kam aus den benachbarten europäischen Staaten. Anmerkung [2] Am 1. Januar 1911 betrug die Zahl der Patienten bereits 163 (87 Männer und 76 Frauen).
Es erfolgte eine starke Differenzierung der Patientengruppen, und immer neue Gebäude kamen dazu. Das erste Hauptgebäude und die sich anschließenden Stationen wurden in den 1960er Jahren abrissen. Von den beiden Hauptgebäuden, die auch heute noch das Bild der Koblenz-Olper-Straße prägen, entstand das nach Sayn hin gelegene mit Festsaal und Synagoge (s. Abbildung 5) 1881/82. Das niedrigere mit Fachwerk versehene Gebäude, der "Wintergarten", und das Kurhaus, im damals modernen Villenstil errichtet, folgten 1898/99. Das ebenfalls beeindruckende Wohnhaus der Familie Jacoby steht an der Engerser Landstraße (heute Haus-Nr. 3). Die Lithographie (s. Abbildung 6) gibt einen Überblick über die Jacoby'sche Anstalt im Jahre 1900.
In der dritten Generation stellte die Familie mit Dr. Fritz Jacoby und Dr. Paul Jacoby selbst die ärztlichen Leiter der Anstalt. Ihr Bruder Manfred, der die kaufmännische Leitung hatte übernehmen sollen, fiel 1915 als deutscher Soldat.
In den ersten Jahren des Nationalsozialismus blieb die Jacoby'sche Anstalt relativ unbehelligt; man respektierte wohl, dass sie für Sayn und Umgebung ein wichtiger Arbeitgeber war. Ende 1938 mussten - bis auf drei - alle nichtjüdischen Arbeitskräfte entlassen werden. An ihre Stelle traten jüdische Hilfskräfte, die ihre ursprünglichen Arbeitsplätze verloren hatten; manche von ihnen wollten sich hier auf landwirtschaftliche Arbeit vorbereiten, um dann nach Palästina auszuwandern.
Familie Jacoby konnte im Juni 1940 über die Sowjetunion und Japan nach Uruguay auswandern. Ihr Besitz wurde beschlagnahmt, seine Verwaltung der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland übertragen. Diese war eine von den Nationalsozialisten veranlasste Zwangsvereinigung, die nur Befehle auszuführen hatte. Ein Runderlass des Innenministeriums vom 12.12.1940 bestimmte, dass "geisteskranke Juden", da ein "Zusammenwohnen Deutscher mit Juden auf die Dauer nicht tragbar ist", nur noch in Sayn aufgenommen werden durften.
Die Möglichkeit, die Patienten an einem Ort zu konzentrieren, diente der Vorbereitung der Deportation. In fünf Transporten (zwischen März und November 1942) wurden 573 Personen in die Vernichtungslager des Ostens gebracht. 142 Juden starben zwischen 1940 und 1942 und wurden auf dem Sayner Judenfriedhof beigesetzt; die meisten von ihnen waren, viele eigentlich nicht transportfähig, schwer krank nach Sayn gekommen.
In den Jahren 1940 bis 1942 konnten die Gräber auf dem Sayner Judenfriedhof zwar nicht mit einem Grabstein versehen werden; dennoch sind die Grabstellen auf Grund alter Planskizzen und einer 1988 durch ein Bendorfer Vermessungsunternehmen unternommenen Neuvermessung genau zu lokalisieren, einige wurden nachträglich von Angehörigen mit Gedenksteinen versehen.
Im Jahre 2003 hat Eric Adler, ein junger Amerikaner, eine Liste der bekannten Grabstellen erstellt und über das Internet zugänglich gemacht. Anmerkung [3]
Die Listen der deportierten Personen wurden von der Jüdischen Kultusgemeinde Koblenz nach dem 2. Weltkrieg in einer Broschüre veröffentlicht. Es fehlen darin allerdings die 30 Personen, die am 11.11.1942 (mit dem fünften Transport) angeblich ins Jüdische Krankenhaus Berlin transportiert wurden. Wir wissen heute, dass sie nur wenige Tage in Berlin blieben und dann nach Theresienstadt und von dort nach Auschwitz gebracht wurden. In Auschwitz ist ein Koffer erhalten geblieben, der die Namen von Samson und Berta Bär trägt; das Ehepaar Bär wurde nachweislich im November 1942 nach Berlin gebracht.
Die Geheime Staatspolizei, Staatspolizeileitstelle Koblenz, versuchte den wahren Charakter der brutalen Verschleppung zu verschleiern, indem sie z.B. auf der Deportationsliste vom 15. Juni 1942 vermerken ließ: "Es wird hiermit bestätigt, dass die in der vorstehenden Liste aufgeführten Juden auf Grund der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25.11.1941 - RGBl I S. 722 - am 15. Juni 1942 ausgewandert sind und somit, soweit sie die deutsche Staatsangehörigkeit besessen haben, diese verloren haben."
Durch Runderlass des Reichsministeriums des Inneren vom 10.11.1942 (s. Abbildung 8) wurde die Heil-und Pflegeanstalt Bendorf-Sayn aufgelöst. Die Gebäude wurden nach ihrer Räumung als Ersatzkrankenhaus für Koblenz und Neuwied bereitgehalten und diente wirklich einige Monate gegen Ende des Krieges als Lazarett bzw. als Ersatz für das vom Krieg in Mitleidenschaft gezogene Krankenhaus Evangelisches Stift Koblenz. Im März 1945 übernahmen amerikanische Soldaten die Gebäude, im Juli 1945 folgten französische Truppen.
Vom April 1951 bis zum Sommer 1997 unterhielten die Salesianer Don Boscos in der ehemaligen Jacoby'schen Anstalt eine Schule mit Internat. Diese trug nach einem früheren Standort den Namen "Knabenheim Kemperhof". Für kurze Zeit richteten die Salesianer dort einen Kinder- und Jugendtreff sowie einen Kinderhort ein. Ende 1998 wurde aus finanziellen Gründen die Schließung auch dieser Einrichtung verfügt.
Während des Leerstands und der Vorbereitung auf die Übernahme durch die Josefs-Gesellschaft e.V. Köln fand vom 16. September bis zum 11. November 2001 in den Parterreräumen der beiden Hauptgebäude die viel beachtete Ausstellung "All meine Pfade rangen mit der Nacht. Jakob van Hoddis, Hans Davidsohn (1887-1942)" Anmerkung [4] zur Erinnerung an den expressionistischen Dichter statt, der von 1933 bis 1942 als Patient in Sayn war.
Seit dem 01. September 1999 ist die Josefs-Gesellschaft GmbH Eigentümer des Grundstücks. Die Josefs-Gesellschaft ist katholischer Träger von Altenheimen, Krankenhäusern und Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen. In der ehemaligen Jacoby'schen Anstalt sind Integrationsfirmen untergebracht, in denen Fachleute Bürodienstleistungen für externe Kunden erbringen. Zudem bietet das Heinrich-Haus Neuwied der Josefs-Gesellschaft in Bendorf-Sayn Wohnangebote für Menschen mit Behinderungen. Ausgelagert sind hier auch Klassen der Christiane-Herzog-Schule - Förderschule für motorische Entwicklung.
Am 17. November 2002 wurde vor den Gebäuden Koblenz-Olper-Straße 39 in einer Feierstunde ein Denkmal der Öffentlichkeit übergeben. "Zum ehrenden Gedenken der 573 jüdischen Frauen und Männer aus der ehemaligen Jacoby'schen Heil- und Pflegeanstalt Sayn und der Stadt Bendorf, die 1942 in die nationalsozialistischen Vernichtungslager deportiert und dort ermordet wurden", lautet der Text auf einer der beiden von dem Bendorfer Künstler Beni Cohen-Or entworfenen, von dem Mayener Steinmetz Hans Joachim Hippel hergestellten Stelen. Die Kosten wurden durch Spenden aufgebracht. Eine Tafel mit den Namen aller deportierten Personen hängt im Inneren des "Wintergartens", des Verbindungsbaus der beiden Hauptgebäude.
Anmerkungen:
[1] Allgemeine Zeitung des Judenthums, 58. Jahrg. (v. 13. Juli 1894)
[2] Bericht über die Israelit. Heil- und Pflegeanstalt für Nerven- und Gemüthskranke zu Sayn, Koblenz 1890,
[3] Friedhofsliste Sayn
[4]so der Titel des Katalogs und der Ausstellung, die zuvor im Centrum Judaicum Berlin, Oranienburger Straße, gezeigt wurde. Der Begleitband zur Ausstellung wurde herausgegeben von Irene Stratenwerth und der Stiftung "Neue Synagoge Berlin - Centrum Judaicum".
Abbildungen: Nr. 2, 3 und 4 von Dr. Ingrid Schupetta, Krefeld, 2006
Literatur:
Dr. S. Behrendt/Dr. S.A. Rosenthal: Israelitische Heil- und Pflegeansatlt für Nerven- und Gemütskranke in Sayn bei Coblenz. In: Deutsche Heil- und Pflegeanstalten für psychisch Kranke in Wort und Bild. Redigiert von Dr. Johannes Bresler, Halle/Saale. 1912
Irene Stratenwerth: Leben und Sterben in Sayn. Vom Alltag einer jüdischen Nervenklinik in der NS-Zeit. In: Brückenschlag. Zeitschrift für Sozialpsychiatrie, Litaratur, Kunst. Band 16 (2000),
Dietrich Schabow: Zur Geschichte der Juden in Bendorf (Broschüre), Bendorf 1979 (vergriffen).
Eine ausführlichere Darstellung der Geschichte der Jacoby’schen Anstalt enthält das Buch „Die Heil- und Pflegeanstalten für Nerven- und Gemütskranke in Bendorf. Weil dieses vergriffen ist, wurde der darin erhaltene Aufsatz von Dietrich Schabow „Die Israelitische Heil- und Pflegeanstalt für Nerven- und Gemütskranke (Jacoby’sche Anstalt 1869-1942) und die spätere Verwendung der Gebäude“ in kleiner Auflage als Broschüre von 40 Seiten mit 26 Abbildungen sowie zahlreichen Übersichten und Statistiken neu aufgelegt. Diese ist ein Beitrag zum Gedenkjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“, erhältlich im Bendorfer Buchladen und in der Buchhandlung Reuffel, Koblenz, zum Preis von 4 Euro.