Dr. Hans Bauer (1888-1947)
Schulleiter in Bendorf, 7 Jahre Gefangener im Konzentrationslager Buchenwald
Beitrag von Dietrich Schabow im Heimatbuch Mayen-Koblenz 2005, S.47-50
Noch lange Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs trafen sich regelmäßig in Bendorf auf dem Albrechtshof Wilhelm Thönnes und Anton Gelhard I (1886-1959), um ihrer Befreiung aus dem Konzentrationslager Buchenwald zu gedenken. Die beiden Bendorfer waren dorthin gebracht worden, der eine, weil er seine Tätigkeit für die SPD auch nach deren Verbot 1933 fortgesetzt hatte, der andere weil er als Mitglied der Zentrumspartei aus seiner politischen Überzeugung und seiner Ablehnung des Nationalsozialismus aus religiösen Gründen keinen Hehl gemacht hatte. Sie waren in Buchenwald Freunde geworden, ohne ihre unterschiedlichen Standpunkte zu verleugnen. Als am 11. April 1945 Buchenwald befreit wurde, waren unter den Entlassenen zwei weitere Bendorfer, Dr. Hans[1] Bauer und Anton Gelhard II (1899-1968).
Nachforschungen in verschiedenen Archiven ergaben eine Reihe von Erkenntnissen, die es erlauben, von Dr. Bauer ein kurzes Lebensbild zu zeichnen. Er wurde am 12. Mai 1888 in Lützelburg, einem kleinen Dorf im nördlichen Elsass, als Sohn eines Gendarmerie-Wachtmeisters geboren. Die Familie zog später ins südliche Elsass um. Hans Bauer machte sein Abitur 1906 am Gymnasium in Mülhausen, studierte danach an der Universität von Straßburg Mathematik und Physik und erwarb in diesen Fächern die Lehrbefähigung für höhere Schulen. Während einer Assistententätigkeit am Institut für experimentelle Psychologie der Universität bereitete er sich auf die Promotion vor mit einer Arbeit, die Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften verband, und zwar zur Optik und zur Wahrnehmungslehre des arabischen Philosophen und Naturforschers Ali al Hasan (965-1038)[2].
Nach dem Militärdienst (1910/11) folgten Referendarzeit und Lehrtätigkeit an Gymnasien in Soest, Hamm/Westf. und Gütersloh bis 1914, sodann am Lyzeum und Oberlyzeum der Ev. Gemeinde Köln bis 1919. 1915 wurde dem jungen Studienrat, obwohl die Schule 25 Lehrkräfte hatte, die Vertretung des zum Militärdienst eingezogenen Direktors übertragen, bis Hans Bauer selbst vorübergehend Schuldienst im Heer leistete. Neben der Schularbeit in Köln studierte er an der dortigen Handelshochschule, der späteren Universität, neuere Sprachen und Philosophie, anschließend an der Universität Bonn Chemie, Mineralogie und Geologie. Einen Abschluss konnte er in diesen Fächern nicht erringen, weil ihm zum 1. Oktober 1919 die Leitung der Höheren Bürgerschule in Bendorf, einer Schule mit realgymnasialen Klassen von Sexta bis Obertertia (heute Klassen 5-9), übertragen wurde.[3]
In Köln hatte Bauer 1914 geheiratet, in Bendorf wurden seine Töchter Edith (1920) und Gisela (1923) geboren. Seine Frau Elsa geb. Heidt starb schon 1928.
Die Bendorfer Schule sollte zu einem Gymnasium ausgebaut werden, das zum Abitur führte. Aber die wirtschaftliche Lage zu Beginn der dreißiger Jahre erlaubte dies nicht; zum 1. April 1932 wurde die Schule sogar aufgelöst. Dr. Bauer erhielt wie die anderen Lehrkräfte ein Pensionsgehalt, wohl aber mit der Aussicht, so bald wie möglich in einer anderen Schule eingesetzt zu werden. Stattdessen wurde er auf Grund des sog. „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ im Oktober 1933 mit gekürzter Versorgung aus dem öffentlichen Schuldienst entlassen. „Er war nämlich vor der nationalen Erhebung Schrift- und Kassenführer des Reichsbanners in Bendorf und hat als solcher der SPD nahe gestanden“, heißt es unverhohlen in einem amtlichen Dokument aus dem Jahre 1935.[4] Das „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ war eine Vereinigung ehemaliger Frontsoldaten vor allem aus der SPD, aber auch aus dem Zentrum und der Deutschen Demokratischen Partei (DDP), die sich zum Ziel gesetzt hatten, die Republik vor ihren Feinden zu schützen. Dr. Bauer, der zunächst in der DDP mitgearbeitet hatte, trat 1933 der SPD bei.
Als eifriger Briefmarkensammler hatte er rege Briefkontakte, auch zu seiner Heimat, dem Elsass. Mit dem Fahrrad unternahm er größere Fahrten, u. a. in das noch unter der Verwaltung des Völkerbundes stehende Saargebiet, und traf dort politische Emigranten, nachweislich den früheren Bendorfer Gewerkschaftssekretär Ernst Rebber. Dieser war mit Anton Gelhard I befreundet und erwähnte Bauer in sehr ungeschickter Weise in seinen Briefen. Die Ermittler erkannten leicht, wer mit der Abkürzung „Br.“ gemeint war. Auch die anderen Verschlüsselungen wurden von den Ermittlungsbehörden schnell aufgelöst; Anton Gelhard I und seine Frau sowie Anton Gelhard II wurden verhaftet. Bei Hausdurchsuchungen fand man sozialistische Flugblätter und Klebezettel. Rebber rechnete wohl, da er seine für Bendorf bestimmten Briefe in der Pfalz aufgeben ließ, nicht damit, dass diese kontrolliert wurden. Als bei Hans Bauer die Adresse Rebbers gefunden wurde, half es ihm nicht mehr, dass er behauptete, er habe seine im Elsass wohnenden Eltern besuchen wollen und dafür die Hilfe Rebbers in Anspruch genommen, aber keine illegalen Verbindungen angeknüpft. Dr. Bauer und die Gelhards wurden angeklagt und am 18. Dezember 1935 wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ vom Oberlandesgericht Hamm, der für solche Fälle eigens eingerichteten, auch für unsere Gegend zuständigen Instanz, verurteilt, Anton Gelhard I zu zwei Jahren sechs Monaten Zuchthaus seine Frau Anna zu sechs Monaten Gefängnis, Dr. Bauer auch zu zwei Jahren sechs Monaten, Anton Gelhard II zu zwei Jahren vier Monaten Zuchthaus.[5]
Gertrud Müller, die der Familie Bauer im Haushalt geholfen hatte, versorgte nach dem Tode von Frau Bauer auch die beiden Kinder. Nun nahm sie, die selbst eine Tochter hatte, die beiden inzwischen 15 bzw. 12 Jahre alten Mädchen ganz zu sich. Sie verdiente für sich, für ihr eigenes Kind und die Geschwister Bauer den Lebensunterhalt mit Putzen und Waschen in Bendorfer Haushalten. Edith und Gisela Bauer erhielten, weil ihrem Vater die Versorgungsbezüge gestrichen wurden, „im Wege der öffentlichen Fürsorge und infolge nachgewiesener Hilfsbedürftigkeit“, wie es in einem amtlichen Dokument heißt, eine monatliche Unterstützung von je 10 Reichsmark.
Dr. Hans Bauer verbrachte genau drei Jahre und vier Tage in Untersuchungsgefängnissen in Koblenz und Hamm, sodann in den Zuchthäusern Rheinbach und Siegburg. Am 9. Juni 1938 entlassen, wurde er zwei Tage später in sog. „Schutzhaft“ ins Polizeigefängnis Koblenz (Im Vogelsang, an der Stelle des heutigen Landeshauptarchivs) eingeliefert und zwei Wochen später ins KZ Buchenwald transportiert. Am 11. April 1945 – zwei Tage vor dem Eintreffen amerikanischer Soldaten – erfolgte dann die organisierte Selbstbefreiung der 21000 Häftlinge. Über das Schicksal der beiden Gelhards und Wilhelm Thönnes’ ist uns weniger bekannt. Thönnes kam 1944 nach Buchenwald. In einer Akte heißt es, ein Anton Gelhard sei 1944 dorthin gebracht worden, es ist aber anzunehmen, dass er schon vorher zumindest vorübergehend dort war. Jedenfalls befanden sich bei der Befreiung alle vier Bendorfer in Buchenwald.
Das berühmte „Manifest der demokratischen Sozialisten des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald“, zwei Tage nach der Befreiung veröffentlicht[6], trägt die Namen Dr. Bauer, Anton Gelhard I und Anton Gelhard II, alle mit dem Zusatz „Bendorf/Rhein“. In dem Manifest zeigen die Unterzeichner auf, was ihnen Kraft zum Durchhalten und Motivation für einen Neuanfang gab: „Wir haben Gefängnis, Zuchthaus und Konzentrationslager ertragen, weil wir glaubten, auch unter der Diktatur für die Gedanken und Ziele des Sozialismus und für die Erhaltung des Friedens arbeiten zu müssen. In Zuchthaus und Konzentrationslager setzten wir trotz täglicher Bedrohung mit einem elenden Tode unsere konspirative Tätigkeit fort. Durch diesen Kampf ist es uns vergönnt gewesen, menschliche, moralische und geistige Erfahrungen zu sammeln, wie sie in normalen Lebensformen unmöglich sind. Vor dem Schattengesicht der Blutzeugen unserer Weltanschauung, die durch die hitleristischen Henker gestorben sind, wie auch in besonderer Verantwortung für die Zukunft unserer Kinder halten wir uns deshalb für berechtigt und verpflichtet, dem deutschen Volke zu sagen, welche Maßnahmen wichtig sind, um Deutschland aus diesem geschichtlich beispiellosen Zusammenbruch zu retten und ihm wieder Achtung und Vertrauen im Rate der Nationen zu verschaffen.“
Nach der Entlassung aus der Haft kam Dr. Bauer nach Bendorf zurück und bemühte sich um die Übernahme in den öffentlichen Schuldienst. Diese wurde zum 1. September 1945 realisiert; Dr. Hans Bauer wurde zum Leiter des Gymnasiums in Traben-Trarbach ernannt. Seine Tochter Gisela Haußmann, die am 14. April 2004 in Süddeutschland verstorben ist, hat ihren Vater nach seiner Heimkehr öfters gebeten, ihr aus der KZ-Zeit zu erzählen. Er habe abgelehnt, vielleicht werde er später einmal darüber berichten. Dazu konnte es leider nicht mehr kommen. Bauer litt an den Folgen der Haft. Am 3. November 1947 fuhr er wie gewöhnlich mit dem Fahrrad zur Arbeit. Plötzlich erlitt er einen Schwächeanfall und starb auf der Straße. Im Nachruf des Lehrerkollegiums seiner Schule heißt es: „Herr Oberstudiendirektor Dr. Hans Bauer war eine jener Persönlichkeiten, die – abhold großen Gesten und Formen – in der Stille durch ihre menschliche Haltung und idealistische Gesinnung vorbildlich und erzieherisch wirken. … Er war ein Mensch im besten Sinne, dessen Gemüt selbst die langen Jahre, die er gemäß seiner charaktervollen Haltung fern von Familie und Beruf verbringen musste, nicht verbittern konnten. Ungeachtet seines schweren Schicksals hatte er ein offenes Herz für menschliche Not, er war stets großzügig und hilfsbereit – ein wahrhaftes Beispiel echter humanitas.“
Bürgermeister Hajo Stuhlträger sagte über ihn vor einigen Jahren in einer Gedenkstunde des Stadtrates von Bendorf, Dr. Bauer und die anderen Bendorfer KZ-Opfer hätten geholfen, „durch ihren Widerstand gegen die Barbarei den Glauben an ein anderes Deutschland aufrecht zu erhalten und die Rückkehr unseres Landes zur Achtung der Menschenrechte, zur Demokratie zu ermöglichen“.
Anmerkungen
[1] Taufnamen Johann Gottlieb
[2] Bauer, Hans: Die Psychologie Alhazens auf Grund von Alhazens Optik dargestellt, veröffentlicht in: Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters, Band X, Heft 5, Münster 1911, S. I-VIII u. 1-73.
[3] Das Gebäude besteht noch heute in der Engerser Straße.
[4] Urteil der Generalstaatsanwaltschaft Hamm vom 2. November 1935, 1. Instanz 1933-45, Nr. 6476
[5] ebenda
[6] veröffentlicht in Brill, Hermann: „Gegen den Strom“, Wege zum Sozialismus, Heft 1, Offenbach 1946, S. 96ff. Es heißt darin, während der ganzen Zeit der Diktatur hätten Sozialdemokraten kameradschaftlich mit Katholiken und Kommunisten zusammengearbeitet und auch auf eine spätere Zusammenarbeit gehofft. Aber schon am zweiten Tage nach der Befreiung hätten sie erkennen müssen, dass die KPD die alte geblieben sei und die Zusammenarbeit nur für ihre Zwecke nutzen wollte.